Reaktions- und InterpretationsmusterWer in diesen Tagen nicht selbstbestimmt Nachrichten und Informationen konsumiert, wird überhäuft von einer Schlammlawine an bekannten Sätzen. Der kollektive Blick rutscht in die vermeintliche Finsternis. Glücklich, wer in diesen Zeiten einen oder mehrere Gesprächspartner hat, mit denen er sich austauschen kann - mit nüchternem Kopf und nicht im Rausch der allgegenwärtigen Erregung und Empörung. Sich diesen Tendenzen, in den Tagen nach einer Tat oder katastrophalen Ereignissen zu entziehen, ist nicht einfach aber möglich. Die NZZ schreibt in diesem Kontext: "Der anfängliche Schrecken über einen möglichen weiteren Terroranschlag ist dem Schrecken über die scheinbare Banalität eines weiteren Amoklaufs gewichen. Simple Interpretationsmuster für den vermeintlichen Terror sind sogleich anderen simplen Erklärungen gewichen. Nun ist es ein übertriebener Konsum von Gewalt-Videospielen oder die Verantwortungslosigkeit der Medien in ihrer Berichterstattung über Gewalttaten, die angeblich zu Amokläufen anstiften. ..." Mein persönlicher Schrecken liegt genau bei diesen reflexartigen Reaktionen. Sowohl denen der Medien, wie auch der Bürger - der jeweils betroffenen Städte oder Länder - oder der jeweiligen wohlmeinenden Nachbar(n)/staaten. Diese werfen, jeweils im Chor - genauso reflexhaft und beliebig - ihre Bedenken in die neue Stossrichtung der Ermittler oder Berichterstatter. Banalität der EmotionenIn diesen Tagen scheinen mir, vor allem heftige Emotionen hoch im Kurs zu stehen. In dieser ohnehin bewegten Zeit mit (noch) mehr oder minder fernen Kriegen, Naturkatastrophen und vielen, grossen Migrantenströmen, bieten Terror und Amoklauf ein anscheinend gerechtfertigtes Ventil, sowohl für den Einzelnen, wie auch für Gruppen. Entweder um den eigenen angestauten Ängsten und Aggresionen Ausdruck zu verleihen oder ihnen ihren Lauf zu lassen. Oder um die Interessen einer Gruppe oder Partei auf dem kollektiven Strom des Entsetzens weiter in Richtung Ziel zu bewegen. Manche Menschen reagieren unwirsch, wenn man im Gespräch versucht, Ängste und Spekulationen irgendwelcher Art nicht zu sehr ins Kraut schiessen zu lassen. Sesto und ich gehen auch hier den Weg des "offenen Herzens". Verurteilungen helfen nicht, um im persönlichen Alltag die Schwierigkeiten des Miteinander zu bewältigen. Sie helfen auch nicht, um sich vermeintlich von den Katastrophen im eigenen Land oder dem immer chaotischer (scheinenden) Weltgeschehen abzugrenzen. Zumal wir ein ganz entscheidender Teil von all dem sind, auch - und nicht zuletzt - als Verursacher ... Diesen Satz darf, wer möchte, gerne einmal gedanklich weiter spinnen ... dafür gibt es viele mögliche Varianten von schwarz bis weiss. Wie schafft man es, nicht selber in diese Abwärtsspirale der negativen Stimmungen zu rutschen? Ich überlege mit Rio Reiser: "Jede Nacht um halb eins, wenn das Fernseh'n rauscht, leg' ich mich aufs Bett und mal mir aus, wie es wäre, wenn ich nicht der wäre, der ich bin, sondern Kanzler, Kaiser, König oder Königin. ... " Nun bin ich, wie die meisten von uns, weder Königin, Kanzlerin noch irgendeine andere Art von Befehlshaberin. Aber ich bin Machthaberin über viele meiner Gedanken, Entscheidungen und Taten. Das Reich meiner persönlichen Urteils- und Entscheidungskraft versuche ich täglich wieder zu erobern, weil es mir immer wieder zu entgleiten droht. Sesto und ich richten unsere Energie auf kooperative Aktivitäten und Begegnungen. Wir versuchen täglich den Krieg in uns und zwischen uns zu befrieden. Hierauf Zeit und Achtsamkeit zu verwenden, gibt uns die Kraft und Klarheit in Gesprächen und bei Entscheidungen bei uns zu bleiben, und in frustierten bis panischen Zeiten den eigenen Blick auf das, was "gut" ist, zu richten und neben unseren Herausforderungen auch unsere Möglichkeiten zu sehen. Natürlich haben wir des öfteren das Argument oder die Klage gehört, wie den das den Betroffenen oder Angehörigen von solchen Ereignissen, wie den oben erwähnten, hilft. Da werden schärfere Regeln und Gesetzte gefordert, ein hartes Durchgreifen seitens der Gesetzeshüter oder von Staatsseite, und es gibt merkwürdige Ideen für Eigeninitiative. Hier möchte ich nochmals die NZZ zitieren, die nüchtern konstatiert: "Die beeindruckende Demonstration polizeilicher Professionalität und Potenz in München muss zur Beruhigung ausreichen. Auf viel mehr Sicherheit darf die Gesellschaft kaum hoffen." MachtsamkeitWie wir wissen, stehen die Sicherheitsbedürfnisse innerhalb der Maslow'schen Bedürfnispyramide direkt an zweiter Stelle nach den Grundbedürfnissen. Wir alle wünschen uns Sicherheit, Schutz, Stabilität, Geborgenheit, Freiheit von Angst und haben das Verlangen nach Strukturen, Ordnungen, Grenzen, Regeln und Gesetzen.
Bei dem Versuch Sicherheit in das eigene Leben zu bringen, haben viele Menschen jedoch genau das verloren, was das Leben lebendig und lebenswert macht. Hier zitiere ich mich immer wieder gerne selber: "Und eines Tages weicht die Unsicherheit einer Versicherung." In meinen Augen ist Sicherheit eine Illusion, die sich weder mit heruntergelassenen Rolläden, noch mit verstärkter staatlicher Regulation erreichen lässt. Was wir dennoch tun können, ist unser eigenes (M)achtsamkeitspotenzial zu entwickeln - indem wir uns begegnen, zuhören, uns auf einander einlassen und vertrauen, indem wir authentisch sind und verletzbar bleiben. Indem wir uns ent-fremden. Links den ganzen Artikel der NZZ lesen | der ganze Text zu Rio Reisers König von Deutschland | über die Wirkung von Worten: z.B. Angstbarometer | die Maslow'sche Bedürnispyramide
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Gabriele Castagnoli hat hier ab April 2016 über zwei Jahre die Pilgerschaft mit ihrem Mann Sesto G. Castagnoli beschrieben. Archive
September 2018
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