Die Welt ist gross und Rettung lauert überallIlja Trojanow spinnt - basierend auf der Lebensgeschichte "seines Lebenshelden" Richard F. Burton - eine alle Sinne ansprechende Geschichte, in der sich unterschiedliche Lebensfäden und Kulturen kreuzen. Selbst jahrelang genauer Beobachter in den verschiedensten Ländern gelingt ihm ein plausibles Bild seiner Hauptfigur. Über den bulgarischen stämmigen, deutschen Autor Ilja Trojanow schreibt die Zeit: "Die Welt ist groß und Rettung lauert überall. Das war das Lebens- und Schreibprogramm eines jungen Mannes mit »Migrationshintergrund«, den das politische Chaos unserer Welt aus Bulgarien nach Italien, von dort nach Deutschland und Kenia geworfen hatte weshalb er damals bereits Bulgarisch, Italienisch (»meine erste Fremdsprache, im Flüchtlingslager gelernt«), Deutsch, Englisch, Französisch und Kisuaheli reden konnte. ..." Trojanow selber schreibt zu seiner Motivation und der ersten "Begegnung" mit der historischen Figur des Richard F. Burton im frühen Alter von zehn Jahren: „Ich sitze an einem Wasserloch im Tsavo-Nationalpark in Kenia und blättere durch einen illustrierten Band über die berühmten Entdecker Afrikas, den mir meine Eltern geschenkt haben. In dem prachtvollen Buch tauchen sie alle auf, die europäischen Heroen, die aufbrachen, das Unbekannte vom Angesicht der Erde zu tilgen, von Vasko da Gama bis Henry Morton Stanley. Keine der Illustrationen fasziniert mich mehr, als die nachkolorierte Gravur eines arabisch gekleideten Mannes mit wilden Gesichtszügen und strengen Augen. Wie merkwürdig: laut Bildunterschrift war dieser Mann (...) weder Sklavenhändler noch Sultan, sondern ein Brite. Als erster Europäer sei er in das Innere Ostafrikas vorgedrungen, auf der Suche nach den Quellen des Nils, und als einziger unter all den Entdeckern in meinem Buch sieht er aus wie ein Einheimischer. Das Abenteuer der Verkleidung erregt und verstört mich mehr als das Wagnis der Reise. Ich merke mir den Namen dieses seltsamen Mannes: Richard Francis Burton. Gut zwanzig Jahre später ziehe ich nach Bombay, Indien, weil ich beschlossen habe, einen Roman über Burton zu schreiben, oder vielmehr über die (Un)Möglichkeit, sich in die Fremde hineinzuleben“ Transkulturelle IdentitätDie an sich schon bemerkenswerte Biographie des Entdeckers Richard Francis Burton hat Trojanow in "Der Weltensammler" - kaum zu glauben - noch abenteuerlicher gestaltet. Als "verkleideter Spion" der Britischen Armee im Britisch-Indien der Kolonialzeit, fördert Burton, zuerst als Kaufmann, später in Arabien als Arzt, nicht nur manche brissante Information für seine Dienstherren zu Tage, sondern schafft es unerkannt in den verschiedenen Sprachen und Rollen zu bestehen. Das geht soweit, dass er als Europäer den Hadsch, die heilige Pilgerreise der Muslime, mitmacht. Auch hier kreuzen sich die Lebenswege von Autor und "Lebensheld". 2003 machte sich auch Trojanow, nach akribischer Vorbereitung, auf den Weg nach Mekka. Der Leser selber schlüpft beim Lesen in die Rolle des verkleideten britischen Offiziers. Aus der Perspektive dieser Doppelrolle nähern wir uns nicht nur (den Geheimnissen) fremder Kulturen und deren Eigenarten, auch die menschlichen Eigenheiten, die tiefer als das Kulturelle in uns wurzeln, treten so noch deutlicher hervor. Bei aller beschriebenen Andersartigkeit leuchten immer wieder die Gemeinsamkeiten und das Verbindende im Menschsein in den Abenteuern des ruhelosen Engländers auf. Es sind dies, die Wesenszüge, die in Krisensituationen oft ent-täuschen aber auch das Zünglein an der Waage sein können - zumindest in der transkulturellen Schreibweise von Ilja Trojanow, was sicherlich auch seiner eigenen bewegten Lebensgeschichte zu verdanken ist. Wir sind alle GästeDer scharfe, dabei stes empathische Blick, den Ilja Trojanow auf das Leben, die Menschen und unsere Gemeinsamkeiten in den unterschiedlichen Ausprägungen der verschiedenen Kulturen wirft, ist in dieser Deutlichkeit manchmal bitter, meist erhellend und vor allem heilsam. Die Erfahrungen, die Sesto und ich mit unserem weit weniger abenteuerlichen "Unterwegssein" und den Begegnungen mit den verschiedensten Menschen machen, sind oft nicht weniger exotisch und ebenso heilsam für alle Beteiligten. Ja, auch wir sind auf eine Art Weltensammler. Das Essenzielle am Fremdsein, und auch das Verbindende daran, kann man wirklich jeden Tag erleben. Als Gast in einem anderen Haushalt, einem anderen Ortsteil, vom Land in die Stadt und zurück, in einem anderen Teil Europas - man muss dafür nicht in die Fremde ziehen, die es letztlich garnicht gibt. Manchmal bin ich selber das Befremdendste an einem anderen Ort. Wenn mein gewohnter Bezugsrahmen wegfällt und der damit verbundene Halt, meine (Auf)fassung von der Welt. Dann falle ich aus diesem Rahmen und vielleicht sogar auf. Alles Ansichtssache. Wir sind alle Fremde, wir sind alle Gäste und auch Wanderer. Die Pilgerschaft hinein in die Gesellschaft, die Sesto und ich seit einigen Monaten wagen und leben, bringt uns nicht diese (schon ältere) Erkenntnis, aber immer wieder neue Möglichkeiten uns in diesem Spannungsfeld zu verhalten - vielmehr es selber zu gestalten. Würden wir uns alle mehr als Gäste, nicht nur auf dieser "Mutter Erde", sondern auch an anderen Orten, mit anderen Menschen verhalten, die unachtsame Gewöhnlichkeit des Alltags könnte uns nicht so beherrschen. Ich stelle mir vor, wie ich auf die Einladung eines imaginären, immerwährenden Gastgebers, doch bitte Platz zu nehmen, diesen Platz dankbar und mit Freude an- und einnehme - ohne in die Falle zu tappen, diesen für selbstverständlich zu halten, oder ihn gar kurze Zeit später ganz für mich zu beanspruchen. Richard Francis Burton
Beherrschte 30 Sprachen, war zäh und hochintelligent, aber auch arrogant und einsam. Der britische Offizier Richard Francis Burton gilt als einer der größten Weltreisenden und Entdecker. 1857 brach er auf, um ein Jahrtausende altes Rätsel zu lösen: Wo liegt die Quelle des Nils? Eine packende und reich bebilderte Geschichte, die Burtons Leben mit der beschwerlichen Expedition und der grandiosen Natur Ostafrikas verbindet. mehr dazu bei Deutschland Radio Kultur Links mehr zur Biographie von Richard F. Burton | mehr über Ilja Trojanow | zu Der Weltensammler | Ilja Trojanow als "Der Sportartensammler" | der Fotograf Steve McCurry | wie ich Kultur als Grundlage meiner Arbeit definiere
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Gabriele Castagnoli hat hier ab April 2016 über zwei Jahre die Pilgerschaft mit ihrem Mann Sesto G. Castagnoli beschrieben. Archive
September 2018
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