Freiheit, die ich meineNachdem also einige, teils recht unterschiedliche, Leute den Begriff der Freiheit bei unseren Begegnungen genannt hatten, habe ich Sesto in einer ruhigen Minute mal gefragt, ob er es eigentlich als Freiheit oder zumindest als einen Gewinn an Freiheit sieht, was wir gerade tun. Spannend war, dass wir beide garnicht das Gefühl haben, wir hätten mit unserem Entschluss, alles zu verschenken und in die Welt zu ziehen, an Freiheit gewonnen. "Freiheit, die ich meine ...", die sprichwörtlich gewordene Liedzeile von Max von Schenkendorf (1783-1817) macht eines direkt klar: es gibt sie nicht die Freiheit. Sondern immer nur die Freiheit, wie ich sie meine, sprich mir vorstelle. Dass diese, meine persönliche Freiheit nicht immer dem Freiheitsbegriff der Anderen entspricht oder die Freiheit des Anderen berücksichtigt, kann, muss aber nicht so sein. Ein Grund dafür, dass Sesto und ich uns auf der Pilgerschaft nicht freier als bislang fühlen, mögen unsere, zwar unterschiedlichen, aber bisher stets unangepassten Lebensläufe sein. Wir gingen und gehen auf unseren Wegen der Freude und dem Herzen nach. So sah es wohl auch Schenkendorf, der weiter dichtete: "Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt." Wie ein neuer TagUnsere Pilgerschaft in München zu starten, war, wie das Meiste auf dem Weg, nicht geplant. Im Prinzip waren wir einer herzlichen Einladung von Alfred Tolle gefolgt, mit dem wir einen ebensolchen skype-Austausch im Vorfeld hatten. Was folgte waren erneut nicht geplante Ereignisse, denn die Einladung musste persönlichen Umständen weichen. Unserer Entscheidung nach München zu gehen, folgten wir trotzdem. Wir hatten andere Möglichkeiten verworfen und uns bewusst dafür ent-schieden. Zu diesem Aspekt der Freiheit hat vor gefühlten Ewigkeiten Jule Nigel einen Songtext für Peter Maffay geschrieben, der das Thema wie folgt variiert: "Freiheit, die ich meine, ist wie ein neuer Tag. Freiheit, die ich meine, ist, was ich wirklich mag." Wie ich das interpretiere, hat Freiheit immer auch mit Verlust und Gewinn zu tun - und zwar gleichzeitig. Wir wählen aus verschiedenen Optionen und ent-scheiden uns für eine Variante, die uns neuen Handlungsspielraum gibt. So wie jeder neue Tag, den wir gestalten dürfen. Das ist unser Gewinn. Die anderen Möglichkeiten - gegen die wir uns entschieden haben - sind der Verlust oder der Preis, den wir zahlen müssen. So gesehen ist Freiheit eine ständige Entscheidungsmöglichkeit mit mehr oder minder starken "Nebenwirkungen". Wie störend wir letztere empfinden oder ob wir sie überhaupt wahrnehmen, das hängt von unserem Fokus, unserem Bewusstsein ab. Münchner FreiheitMein letzter Besuch in München ist bereits so lange her, dass ich auf die Stadt und ihre Einwohner relativ unvoreingenommen zugehen konnte. Dabei hatte ich den Eindruck, dass "der Münchner" sympathisch egozentrisch, oder soll ich besser sagen, entspannt zentriert ist. Vielleicht schwingt da ja noch die Bedeutung des Namens München mit, die "der Ort bei den Mönchen" lautet und auf die ersten Anfänge der Stadt verweist. Nach ein paar Tagen Stadterkundung zu Fuss und mit dem öffentlichen Verkehr fiel mir diese Grundhaltung der Menschen auf. Wer sich selber "gut findet", empfindet es als "selbstverständlich", sich für seine Bedürfnisse einzusetzen und kann dementsprechend auch den Anderen etwas zu gestehen. Der Umgangston ist freundlich, interessiert. Leben und leben lassen. Dass dabei die Inanspruchnahme der persönlichen oder "verbrieften" Freiheit auch mal bajuwarisch direkt formuliert wird, kann ich angesichts der allgemeinen Entspanntheit gut hinnehmen. Nach meiner subjektiven Wahrnehmung kann man das Selbstverständnis der Münchner ganz gut mit dem Spannungsbogen von "Mia san mia" bis "Schau mer mal" umreissen. Fast scheint es, als hätte mein anhaltender, innerer Dialog, zum Thema Freiheit, mit der Stadt München Kontakt aufgenommen. So nennt der Kabarettist Lars Reichow sein aktuelles Programm im Lustspielhaus "Freiheit". Da heisst es: "Was tun, wenn die Freiheit im Wohnmobil auf der einen Herdplatte verpufft, wenn der Kaffeemaschine die südländische Leichtigkeit abhanden kommt und der Flüchtling vor der Tür steht? Frei zu sein, ist heute kein Problem, aber sich frei zu fühlen, das ist eine Kunst. Eine Nacht durchschlafen, ohne aufs Klo zu gehen, einen Kaffee zu trinken, ohne die ganz große Entkalkung. ... „Freiheit“ ist mehr als ein Programm. Es ist eine Haltung. Und es ist ein Gefühl. ..."
Doch da beginnt mein ganz persönlicher "Freiheitskampf" - nicht gegen Andere, nicht gegen ein System, sondern gegen meine eigene Un-Tätigkeit, meinen Un-Mut und meine Un-entschiedenheit. Oder anders formuliert: für ein Leben mit freiem Geist und pulsierendem Herzen.
Links: Der Ursprung des Namens München, das aktuelle Programm des Kabarettisten Lars Reichow: Freiheit, "Vom Widerstand zum Weihnachtsmarkt" die Münchner Freiheit
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Gabriele Castagnoli hat hier ab April 2016 über zwei Jahre die Pilgerschaft mit ihrem Mann Sesto G. Castagnoli beschrieben. Archive
September 2018
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